Marienerscheinungen in Fátima

Ein Geheimnis im neuen Licht?

Visionen von Schmerz und Leid durch Krieg, der innigste Wunsch nach Frieden und Bekehrung – das waren einige Leitgedanken bei der Botschaft von Fátima, die die drei Hirtenkinder Lúcia, Jacinta und Francisco 1917 in Zentralportugal durch Maria empfangen haben sollen. Lúcia wurde Ordensschwester und schrieb später die „Drei Geheimnisse von Fátima“ nieder. Manch ein Beobachter sieht sich durch den Ukraine­krieg daran erinnert.

Lúcia brachte die „Geheimnisse“ erst viele Jahre nach den Erscheinungen zu Papier: 1941 und 1944. Und doch haben sie es in sich. Nach dem ersten Geheimnis, der Vision der Hölle, ist vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs vor allem das zweite Geheimnis in den Fokus gerückt. Nachlesen kann man es auf der Webseite des Vatikans samt einer Reproduktion des Originaltexts. 

Ein schlimmerer Krieg

„Wir erhoben den Blick zu Unserer Lieben Frau“, heißt es darin, „die voll Güte und Traurigkeit sprach“: „Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen begründen. Wenn man tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet werden, und es wird Friede sein. Der Krieg wird ein Ende nehmen. Wenn man aber nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter dem Pontifikat von Papst Pius XII. ein anderer, schlimmerer beginnen.“ 

Und weiter: „Wenn ihr eine Nacht von einem unbekannten Licht erhellt seht, dann wisst, dass dies das große Zeichen ist, das Gott euch gibt, dass er die Welt für ihre Missetaten durch Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters bestrafen wird. Um das zu verhüten, werde ich kommen, um die Weihe Russlands an mein unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen des Monats zu verlangen.“ 

Über den Osten Europas heißt es: „Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Russland sich bekehren, und es wird Friede sein. Wenn nicht, wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Natio­nen werden vernichtet werden, am Ende aber wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren.“

Wie ein prophetischer Brückenschlag

Besonders erstaunlich wirkt die folgende Aussage: „Der Heilige Vater wird mir Russland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden.“ Die Fingerzeige auf Russland deuten regelrecht beklemmend auf die Gegenwart. Die Verbreitung von „Irrlehren über die Welt“, Krieg, Vernichtung – das wirkt auf manchen Betrachter wie ein prophetischer Brückenschlag ins Hier und Heute.

Der Botschaft von Fátima entspricht, dass man sich in dem Marienwallfahrtsort in Zentralportugal einer besonderen Friedensmission verpflichtet fühlt. Seit Ende Februar formiert sich jeden Tag eine Gebetskette, die zur Rückkehr des Friedens in der Ukraine aufruft. Zudem sind Fürbitten, Kerzenopfer, Blumen­gaben und die täglichen Rosenkranzgebete um 12, 18.30 und 21.30 Uhr mit Wünschen nach Frieden in der Ukraine verbunden. 

Carmo Rodeia aus dem Pressebüro des Heiligtums erinnert ­daran, dass das frühabendliche Rosenkranzgebet am 24. Februar, dem Tag der russischen Invasion in der Ukraine, kein gewöhnliches war: „Der Rosenkranz wurde in Anwesenheit der ukrainischen Gemeinschaft von Fátima auf Ukrainisch gebetet.“ Die am 25. März von Papst Franziskus vorgenommene Weihe Russlands und der Ukraine an das Unbefleckte Herz Mariens lehnte sich an den Wunsch Mariens aus dem zweiten Geheimnis von Fátima an.

Statue Nummer 13

Mitte März wurde eine Statue der Pilgermadonna von Fátima einen Monat lang als „Botschafterin des Friedens“ in die Ukraine entsandt. Seit 1947 reisen Bildnisse der Jungfrau von Fátima, von denen es 13 Exemplare gibt, in diesem Sinne rund um die Welt. Fern vom Aberglauben um eine Unglückszahl ging kurioserweise Statue Nummer 13 in die Ukraine. 

Das Anliegen kam vom griechisch-katholischen Metropolitan­erzbischof von Lemberg, Ihor Wosnjak, der sich von der Präsenz der Marienfigur Beistand für die Gemeinschaft versprach: „Damit wir beten und um ihren Schutz bitten können, damit Frieden in das Land zurückkehren kann.“

Bei der Sendungsmesse unterstrich Joaquim Ganhão, der Direktor der Liturgieabteilung des Heiligtums von Fátima: „Krieg wird nicht mit Krieg beantwortet, das Böse wird nicht mit Bösem beantwortet, Hass wird nicht mit Hass beantwortet. Und so ruft der Herr heute unseren Herzen zu, seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist.“ 

Ganhão betonte, es gebe keinen anderen Weg „als den Weg der Liebe bis zum Ende, nämlich die Liebe Gottes, die in uns ausgegossen und in uns heute, in diesem konkreten Umstand unseres Lebens und unserer Geschichte, menschgeworden ist.“ Überdies appellierte er an die Menschlichkeit und Gebote der Nächstenliebe: „Wir müssen die Türen öffnen und erkennen, dass der andere nicht unser Feind ist. Er ist nicht unser Rivale, er ist unser Bruder, mit dem wir Geschichte auf­bauen, Frieden schaffen müssen.“ 

Ein Krieg, der alle betrifft

Ganhão setzt seine Worte in die besondere Beziehung zur sogenannten Cova da Iria, der Erscheinungsmulde und Keimzelle von Fátima, wo 1917 alles begann und sich nunmehr die Erscheinungskapelle befindet: „Wir sind mit einem Krieg konfrontiert, der uns alle betrifft, und hier an diesem Ort, in der Cova da Iria, vertrauen wir uns der Mutter der Barmherzigkeit und Königin des Friedens an.“

Bei den Messen im Heiligtum haben auch die maßgeblichen Kirchenpersönlichkeiten der Diözese Leiria-Fátima, Bischof José Ornelas und der emerierte Bischof Kardinal António Marto, in deutlichen Worten den „infamen Krieg“ in der Ukraine angeprangert. „Wir flehen um das Ende eines tragischen und kriminellen Kriegs“, beschwor Marto bei einer Messe in der Dreifaltigkeitskirche des Heiligtumsbezirks die Beilegung der Feindseligkeiten. „Von unserem Sanktuarium aus manifestieren wir unsere Solidarität mit dem Volk der Ukraine, das diese schreckliche Geißel erleidet“, unterstrich er. 

Dabei vergaß der Kardinal die Ukrainer in Portugal nicht, die aus der Ferne mitleiden: „Wir wollen auch unsere Zuneigung, Hilfe und Gebete für die Gemeinschaften ukrainischer Bürger in unserem Land ausdrücken.“ An die heilige Jungfrau von Fátima als „Mutter der Gnade und Königin des Friedens“ gewandt, bat er inständig um ihre „wirkmächtige Fürsprache“ beim Frieden in der Ukraine und der ganzen Welt.

Der Engel des Friedens

Was im Zusammenhang mit dem Marienwallfahrtsziel Fátima leicht übersehen wird: Bereits 1916, im Jahr vor der Abfolge aus insgesamt sechs Marienerscheinungen, tauchte Lúcia zufolge ein Engel in Fátima auf – dreimal. „Ein Jüngling von 14 bis 15 Jahren, weißer als der Schnee. Die Sonne machte ihn durchsichtig, als wäre er aus Kristall“, schilderte sie ihn. Die Gestalt stellte sich als „Engel des Friedens“ vor und forderte die Kinder auf, mit ihm zu beten. 

Die erste Begegnung verlief nach dem Zeugnis Lúcias so: „Er kniete nieder, bückte sich und berührte mit der Stirn den Boden. Auf übernatürliche Weise angetrieben, ahmten wir ihn nach und wiederholten die Worte, die wir ihn aussprechen hörten: ‚Mein Gott, ich glaube an dich, ich bete zu dir, ich hoffe auf dich, ich liebe dich. Ich bitte dich um Vergebung für diejenigen, die nicht an dich glauben, die nicht zu dir beten, die nicht auf dich hoffen und dich nicht lieben.‘ Nachdem er dieses Gebet noch zweimal wiederholt hatte, erhob er sich und sagte: ‚Betet so! Die Herzen Jesu und Mariens erwarten eure flehentlichen Bitten.‘ Seine Worte gruben sich so tief in unser Gedächtnis, dass wir sie niemals mehr vergaßen.“ 

Intensiv war auch die dritte Erscheinung des Engels, der diesmal einen Kelch in der Hand hielt und sprach: „Empfangt den Leib und trinkt das Blut Jesu Christi, der durch die undankbaren Menschen auf schreckliche Weise beleidigt wird. Sühnt ihre Sünden und tröstet euren Gott.“ Der Engel des Friedens bereitete die Seherkinder von Fátima auf weitreichendere Begegnungen im Jahr danach vor. Er steht am Anfang einer Geschichte, die womöglich auch den aktuellen Krieg in der Ukraine vorwegnahm.

Andreas Drouve